Jurybegründung

Urban Mining Design – Rathaus Korbach

Das neue Rathaus in der Kreis- und Hansestadt Korbach zählt zu den Pionieren des Urban-Mining-Prinzips, nach dem der Gebäudebestand als Rohstofflager begriffen wird. Hervorzuheben an dem Projekt ist, dass schon im Architekturwettbewerb für die Sanierung des mittelalterlichen Gebäudes sowie den Anbau eines Erweiterungsbaus der schonende Umgang mit Flächen und Ressourcen ausdrücklich gefordert wurde – und das, obwohl zum Zeitpunkt der Auslobung der Abriss der Rathauserweiterung aus den 1970iger Jahren bereits feststand.

Der 2022 fertig gestellte Siegerentwurf der ARGE agn - heimspiel architekten verbindet baukulturellen Anspruch mit dem Ziel, Ressourcen zu schonen. Er formt die Innenstadt neu und wertet diese auf. Dabei nehmen die Architekten konsequent die Kubatur, Sprache und Körnigkeit der Umgebung auf. Ergebnis ist eine städtebauliche Figur, die Bedeutsamkeit beansprucht und sich dennoch durch das Fortschreiben der vorhandenen Dachlandschaften zurückhaltend einfügt. Die Formensprache der Architektur respektiert Ort und Umgebung, ohne eine Hauptrolle spielen zu wollen. Der Öffentlichkeit wird ein identitätsstiftender Raum mit hoher Qualität zurückgegeben, die Innenstadt gestärkt.

Auf den vorgegebenen Abriss des Gebäudebestandes antworten die Architekten mit einem stringenten Urban-Mining-Konzept. Erklärtes Ziel war, möglichst viele verwertbare Anteile als rezyklierte Gesteinskörnung in situ wiedereinzusetzen. Tatsächlich konnten rund zwei Drittel des Abbruchmaterials aus dem Bestand in unterschiedlicher Qualität für den Neubau verwertet werden. So wurde beispielsweise der Sichtbeton für die Fassade mit mineralischen Rückbaumaterialien aus dem Tonziegelbruch des rückgebauten Nebengebäudes versetzt. Dies verweist gestalterisch auf die Verwendung der Rezyklate aus dem Vorgängerbau. Von dem angefallenen Betonbruch konnten etwa 15 Prozent hochwertig für neuen Beton wiederverwertet werden.

Konnte das Rezyklat wegen fehlender Sortenreinheit nicht für das Tragwerk genutzt werden, wurde es für den Untergrund genutzt. Diesen Erfahrungen folgend wurde der Neubau des Rathausanbaus im Sinne der Circular Economy so geplant, dass am Ende des Lebenszyklus eine sortenreine Trennung der Materialien möglich ist.

Die Jury würdigt die durchdachte Konzeption und frühe Entscheidung zugunsten eines Experiments. Das Urban Mining ist bisher keine Selbstverständlichkeit aber eine große Chance, auch ökonomisch. In einem interdisziplinären Team wurde ein beispielgebendes Projekt realisiert, das Mut macht, mit der grauen Energie des Bestandes anders umzugehen. Die projektbegleitende Evaluation der Wirksamkeit auf den Materialfußabdruck ist bedeutsam, die Verkleinerung des Klimafußabdruckes offenbart zugleich Grenzen. Wäre es vielleicht doch überlegenswert gewesen, den Bestand wiederzuverwenden, um graue Energie zu goldener Energie werden zu lassen?

Die Architekten und Planenden zeigen mit der fundierten Lösung einen Beitrag für den sparsamen Verbrauch von Ressourcen mit ökonomischer Sinnhaftigkeit. Sie liefern eine Antwort auf die Bauaufgabe Nummer eins: das Bauen mit und im Bestand. Der Bauherrin gilt Dank für die Offenheit und die Initiierung dieses Modellprojektes. Die Nachahmung wird dringend empfohlen.

Projektbeteiligte: Kreis- und Hansestadt Korbach/ARGE agn - heimspiel architekten